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Ein Lehrer fürs Leben

Hennekes

Marc-Andree Hennekes bekommt den Deutschen Lehrkräftepreis – Sein Unterricht zeigt, warum er ihn verdient

Es ist Mittwochvormittag, Doppelstunde Englisch im Klassenzimmer der 10b. Heute: Business English, also Englisch in der Geschäftswelt. Das klingt nach dem Gipfel der Langeweile, nach glasigen, abgewandten Augen und abgeschalteten Köpfen. Aber plötzlich kribbeln Arm und Zeigefinger, als wolle der Arm gehoben, der Finger gestreckt werden. Ein seltsames Gefühl, und das 14 Jahre nach der letzten eigenen Schulstunde. Wenn dieser Lehrer seine 10b etwas fragt, möchte sogar der Besucher der PNP aufzeigen und antworten. Es wirkt fast wie Zauberei. Wie macht er das nur?

Marc-Andree Hennekes unterrichtet seit 2008 an der Dreiflüsse-Realschule Passau Englisch, Wirtschafft und Informatik. Nebenbei hat er das Schulfernsehen „PengTV“ aufgebaut, mittlerweile ist er Mitglied der erweiterten Schulleitung. Und seit gestern kann sich der 49-Jährige ohne anzugeben ganz offiziell als einer der besten Lehrer Deutschlands bezeichnen. Gestern nämlich durfte er den Deutschen Lehrkräftepreis 2022 entgegennehmen.

Der „Lehrkräftepreis – Unterricht innovativ“ getragen von der Heraeus Bildungsstiftung und dem Deutschen Philologenverband, ist für die Lehrerschaft hierzulande das, was der Oscar für Hollywood ist. Die Kategorie in der Hennekes unter den Gewinnern ist – „Ausgezeichnete Lehrkräfte“ – ist wohl der wichtigste. Denn dahinter stecken keine kryptischen Datengrundlagen, keine vermeintlichen Experten-Jurys, keine angeblich objektiven Checklisten. Diesen Preis bekommen nur Lehrer, die von ihren Schülern nominiert werden.

Ein zynischer Gedanke: Hat die Schulleiterin die Schüler im vergangenen Juli zu einer Nominierungskampagne aufgerufen. Die Direktorin Marion Katzbichler bringt die Frage zum Lachen. „Nein, eine Kampagne hat’s gar nicht gebraucht. Die Schüler aus der Klasse 10d kamen von sich aus zu mir, weil sie von diesem Preis gehört hatten und ihn nominieren wollten.“ Leni Seidl kann das bestätigen. Die 16-Jährige hat im vergangenen Jahr ihren Realschulabschluss gemacht, heute verfolgt sie den Unterricht als FOS-Praktikantin. Sie sagt: „Uns musste niemand überreden. Er ist nicht nur Lehrer, er kümmert sich um so viele Sachen. Ich kann mich nur an Positives erinnern. Deshalb haben wir ihn alle gern vorgeschlagen.“

Es geht heute also um „Business English“ um Unternehmen, ihre Produkte und Small Talk. Wer aus den Bänken verzweifeltes Raunen erwartet hat, hat sich getäuscht. Die 20 Teenager murren nicht, sie sind von Beginn an konzentriert. Hennekes hält sie bei der Stange. Er verteilt iPads, teilt die Jugendlichen zur Gruppenarbeit ein, wandert durch den Raum, schaut mal hier über die Schulter und hockt sich dort neben einen Schüler, um Hilfestellung zu geben. Nie vergräbt er sich hinter seinem Schreibtisch, auch wenn er während der Hörübungen eine Pause einlegen könnte.

Auch seine Mimik ist ständig in Bewegung. Er verzieht angewidert die Mundwinkel, wenn er über unangenehme Aspekte des Business-Alltags spricht, vor allem lacht er viel. Und wenn er einen Schüler mit einer Nachfrage unterbricht, entschuldigt er sich. Dabei spricht Hennekes Englisch wie ein Muttersprachler, sogar einen leichten britischen Einschlag hat er – ein Überbleibsel seines Jahrs in Manchester.

Nicht jeder Schüler spricht hervorragend Englisch. Mancher streut versehentlich ein deutsches Wort ein. Aber keiner scheut sich davor, die Hand zu heben, auch wenn eine Antwort falsch sein oder zumindest klingen könnte. Und Hennekes geizt weder mit Verbesserungsvorschlägen noch Lob.

Insgesamt wird in seiner Klasse auf hohem Niveau flüssiges Englisch gesprochen. Nicht nur Hennekes hält sich an das „English only“-Gebot im Klassenzimmer, auch den Schülern kommt bei der gemeinsamen Arbeit kaum ein deutsches Wort über die Lippen. Sie benutzen die Fremdsprache automatisch, ermahnen muss ihr Lehrer dazu nicht.

Der nächste zynische Gedanke: Sind die Schüler vielleicht nur deshalb so beflissen bei der Sache, weil der Besuch von der Presse da ist? Während die Schüler im Hintergrund fleißig eine Hörübung bearbeiten, muss Hennekes über die Frage lachen. „Sie sind normalerweise sogar ein bisschen gesprächiger“, sagt er. „Aber sie sind immer so brav – und unwahrscheinlich nett. Es sind ganz freundliche, disziplinierte, zielstrebige junge Menschen.“ Selbst, wenn das nicht stimmen würde: Welchen Grund hätten die Teenager, die wohl aufmüpfigste aller Altersgruppen, einen Lehrer gut dastehen zu lassen, den sie nicht mögen?

Dass das der Fall ist, bestätigen seine – zufällig ausgewählten – Schüler, die kurz vor dem Pressebesuch vor das Klassenzimmer treten, um offen über ihren Lehrer zu reden. „Er ist der beste Englischlehrer, den ich je hatte“, sagt Hannes Tischler. „In der 8. Klasse konnte ich Englisch nicht gut. Ich stand auf der Kippe zwischen 4 und 5. Seit letztem Jahr haben wir Herrn Hennekes. In der 9. hatte ich einen 3er, jetzt stehe ich sogar auf 2,0. Er hat mich echt gerettet.“

Amelie Dirkmann: „Er gestaltet den Unterricht so, dass man miteinbezogen wird. Er nimmt Fehler nie übel, sondern verbessert einen und gibt uns ein gutes Gefühl. Und wenn er einmal einen Fehler macht, dann gibt er auch zu, dass der Schüler recht hatte.“ Seine ehemalige Schülerin Leni Seidl sagt: „Herr Hennekes ist echt, er verstellt sich nicht. Er ist wirklich ein toller Typ, auch außerhalb der Klasse. Er gibt den Schülern Werte mit. Er unterstützt uns und glaubt an uns.“

Das ist der Zauber dieses Lehrers bestätigt auch Schulleiterin Marion Katzbichler. „Wir sind unglaublich stolz auf diese Auszeichnung von Marc-Andree Hennekes. Er hat diesen Preis absolut verdient. Er kümmert sich um seine Schüler, ist im Unterricht immer am Puls der Zeit und arbeitet als Systembetreuer der Schule medial auf absolut hohem Niveau.“ Seit 2008 bildet er als Seminarlehrer für Englisch Studienreferendare aus und gibt ihnen wesentliches Rüstzeug für ihre Zukunft mit. Bei Hennekes Eifer und Fleiß überrascht es nicht, dass er seit diesem Schuljahr auch der erweiterten Schulleitung angehört. „Für uns als Schule ist es ein absoluter Gewinn solche Lehrkräfte, wie Marc-Andree Hennekes, an der Schule zu haben. Er ist ein Aushängeschild für die Dreiflüsse-Realschule Passau und diese Auszeichnung hat eine hohe Strahlkraft“, so Katzbichler weiter.

Marc-Andree Hennekes ist kein Zauberer. Zauberer arbeiten mit Trick und Illusionen. Sein Trick ist, dass es keinen Trick gibt. Die Schüler vertrauen ihm, weil man ihm vertrauen kann. Seine Fröhlichkeit, seine Energie, sein Entschuldigen und sein Lachen: Nichts davon wirkt aufgesetzt. Man merkt, dass er jedes Wort ernst meint, wenn er sagt: „Ich will keinen Gehorsam. Ich will den Schülern zeigen, dass ich sie respektiere, dann respektieren sie mich auch. Das ist keine Einbahnstraße. Wenn ich sie unterbuttern würde, könnten sie nicht eigenverantwortlich agieren, aber genau das sollen sie in der Schule lernen.“

In einer Ecke des Klassenzimmers hat Hennekes einen Spruch von Walt Disney an die Wand geklebt, „um meinen Schülern ein Ziel zu geben und ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern“, wie er sagt. Auf Deutsch lautet er: „Alle unsere Träume können wahr werden, wenn wir den Mut haben, sie zu verfolgen.“ Ein schöner Satz, auch wenn er nicht immer stimmt. Die Realität kann auch die am mutigst verfolgten Träume zertrümmern. Aber das ist in dieser Doppelstunde Englisch nicht wichtig. Wichtig ist, dass die Schüler ihn für wahr halten, weil sie ihrem Lehrer vertrauen. Weil er ihnen wirklich das Gefühl gibt, dass sie hier nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen. Und selbst, wenn ihnen mal das Selbstvertrauen fehlt: Ihrem Herrn Hennekes glauben sie – und er glaubt an sie.